3.
Denem
Die
nächste Stadt im Norden war Ferratwin, und ein ganzes Stück
entfernt von Seldin. Wenn sie mit dem Boot dorthin fuhren, waren sie
einige Tage unterwegs, aber vielleicht blieben sie an einer der
vielen kleineren Anlegestellen zwischen Seldin und Ferratwin. Nia
ritt einfach geradeaus weiter, in der Hoffnung sie dort irgendwo
anzutreffen.
Als
sie die nächste Siedlung erreichte war es schon wieder später
Vormittag. Müde lenkte sie ihr Pferd zu der ersten Frau, auf die sie
traf, eine junge Frau, die auf einer Bank, vor einem der Häuser saß
und einen Säugling stillte. Freundlich erwiderte sie den Gruß, und
erklärte Nia den Weg zum Schwesternhaus der Naja. Das Schwesterhaus
lag an der Uferstraße, zwischen zwei großen, mit dem Symbol der
Götttin Naja bemalten Lagerhäusern. Dieses Haus war ein normales
Haus, einstöckig wie alle anderen auch, weiß verputzt, über dem
Eingang das Zeichen der Göttin. Nia stieg vom Pferd und reichte die
Zügel dem Mädchen, das aus dem Haus kam und sogleich das Pferd
hinter das Haus, zu den Ställen führte. Im Haus war es angenehm
kühl, zwei Männer wuschen die Tische ab, eine Frau stand an einem
der Tische und bereitete Fleisch zu.
Nia
ging zu der Frau. „Guten Morgen Schwester, ich suche ein Bett.
Ich bin die ganze Nacht geritten und sehr müde.“
Ohne
zu antworten deutete die Frau hinter sich.
Nia
ging in die angegebene Richtung. Die Kammern waren kleiner als in der
vorigen Stadt. Nia legte ihre Tasche auf den Boden. Bevor sie
schlafen ging, wollte sie noch einen kleine Spaziergang am Kai
machen, und sich umhören. Also spritzte sie sich nur kurz Wasser ins
Gesicht und verließ dann wieder das Gebäude, um die Uferstraße
entlang zu schlendern.
Auch
hier waren Männer damit beschäftigt, Ballen und Fässer von den
Booten an Land, und dann weiter in die Lagerhäuser, oder umgekehrt
vom Ufer in die Boote zu laden. Nia betrachtet die gebückten,
schweißnassen Männerrücken, im vorübergehen. Manchmal richtete
sich einer auf und wischte sich mit der Hand über das Gesicht. Die
Frauen, die die Arbeit beaufsichtigten, wirkten gelangweilt.
Nia
schlenderte zu einer der Frauen, um sie zu fragen, ob sie die
Gesuchten gesehen habe, da richtete sich einer der Männer mit einem
Ballen in der Hand auf, drehte sich um, um den Ballen an Land zu
tragen, und sah ihr genau ins Gesicht. Vor Schreck lies er den Ballen
fallen, der mit einem lauten Plums auf den Boden fiel.
„Was
soll das? Nun ist es schmutzig“ fragte eine der Frauen und trat
irritiert zu ihm.
Aber
der junge Mann beachtet sie gar nicht.
Nia
war nicht weniger erstaunt, als er. „Denem“, rief sie und
lief zu ihm hin. Ihr armer Bruder! Zwangen ihn die Amazonen nun zu
arbeiten, nachdem sie ihn von zu Hause weggeschleppt hatten? Als sie
bei ihm war, nahm sie ihn in den Arm. „Es wir alles wieder gut.
Ich bring dich nach Hause.“ Versprach sie.
„Was
geht hier vor.“ Wollte die Aufseherin wissen.
„Er
ist mein Bruder und ich nehme ihn mit.“
„Dein
Bruder?“ Der Ton war schneidend. „Zur Zeit ist er mein
Arbeiter, und er wird erst heute Abend gehen, wenn seine Schwester
ihn abholt.“
Nia
lächelte. „Ich sagte doch, dass ich seine Schwester bin, und
ich hole ihn jetzt ab.“
Die
Aufseherin bedachte Denem mit einem ärgerlichen Blick. „Ist
diese Frau deine Schwester?“
Er
nickte.
„Und
die Frau, mit der ich den Vertrag abgeschlossen habe?“
„Sie
ist nicht meine Schwester.“ Er senkte den Kopf, kaum hörbar,
sprach er weiter. „Ich bin von zu Hause ausgerissen und habe sie
überredet, sich als meine Schwester auszugeben, damit ich arbeiten
kann und Geld verdiene.“
Die
Aufseherin grinste süffisant, schwieg aber.
Liebevoll
legte Nia ihren Arm um den Jungen. „Du siehst, der Vertrag ist
ungültig.“
Die
Aufseherin nickte.
„Weißt
du, wo die beiden Amazonen sich nun aufhalten?“ Fragte Nia ihren
Bruder.
„Nein,
bitte Nia! Es ist wirklich so. Ich habe sie überredet, mich
mitzunehmen.“
Nia
strich ihm eine feuchte Strähne aus dem Gesicht. „Denem, ich
finde es reizend, dass du für sie lügst, aber sie haben es nicht
verdient. Auch wenn du jetzt noch in sie verliebt bist. Sie hätten
dich nicht mitnehmen dürfen.“ Und zur Aufseherin. „Wann
wollten sie ihn abholen.“
„Zur
10ten Stunde des Tages.“
Nia
nickte, und ging zurück zum Schwesternhaus, ihren Bruder am Arm
mitführend.
Den
ganzen Weg schwieg er, den Kopf trotzig gesenkt haltend. Vorm Haus
rief Nia einen Mann heran und beauftragte ihn, ihren Bruder ins
Männerhaus zu bringen und auf ihn aufzupassen. Dann begab sie sich
in die Halle, auf der Suche nach weiteren Frauen, mit denen sie das
Geschehene besprechen, und die ihr behilflich sein konnten, über das
weitere Vorgehen zu entscheiden. Alle Beteiligten waren Mitglieder
des gleichen Clans, was die Sache erheblich entschärfte. Es blieb
clanintern. Trotzdem, musste etwas geschehen. Es ging nicht, dass
herumreisende Frauen einfach jungen Männern den Kopf verdrehten, und
sie aus ihren Familien, ihrer Umgebung rissen. Im Haus fand sie zwei
Najane. Die eine hatte sie schon bei ihrer Ankunft getroffen hatte,
die andere war eine Fremde.
„Guten
Tag, Schwestern“. Begann Nia,
„Guten
Tag, Schwester“, war die Reaktion.
„Es
ist etwas geschehen“, begann Nia. Es war der traditionelle
Beginn, eines Berichtes über einen Straffall. „Mein Bruder,
Denem, welchen ich in dieser Stadt wiedergefunden habe, ist vor 3
Tagen von zu hause fortgelaufen. Er ging mit zwei Amazonen unseres
Clans. Eine von ihnen muss ihn verführt und überredet haben
mitzukommen. Mein Bruder ist jung und leicht zu beeinflussen und
offensichtlich in eine der Frauen verliebt. In dieser Stadt hat eine
von ihnen sich als seine Schwester ausgegeben, um einen
Arbeitsvertrag, als Arbeiter am Kai, für ihn abzuschließen. Ich
habe ihn mit hierher gebracht. Er ist nun im Männerhaus. Es muss
etwas geschehen.“ Schloss sie.
Die
anderen Frauen nickten schweigend, das war ein schwerwiegender Fall.
„Weißt
du, wo sich die Amazonen aufhalten?“
Nia
schüttelte den Kopf, „Ich weiß aber, wann sie sich heute
Nachmittag am Kai aufhalten werden, um meinen Bruder und den
Arbeitslohn abzuholen.“
„Dann
werden wir sie in Empfang nehmen.“
In
kurzer Zeit wurden weitere Clanschwestern heran geholt, bis es, ohne
Nia, acht waren. Genug um ein Urteil zu fällen. Die Neun Frauen
versammelten sich auf dem Platz hinter dem Haus, unter einem Baum.
Junge Männer reichten ihnen Getränke und süßes Brot, während sie
den Fall besprachen. Nias Bruder hielt sich im Männerhaus auf, wo er
gut mit Essen, einem Bad und Kissen zum Ausruhen versorgt war. Die
Besprechung dauerte mehrere Stunden, in denen die verschiedenen
Frauen von Nia den Vorfall geschildert bekamen und nacheinander
Stellung nahmen und ihre Meinung äußerten. Gegen Mittag, nachdem
Nia alles erzählt hatte, was sie zu erzählen wusste und jede der
Frauen ihre Meinung geäußert hatte, machten sie ein kurzer Pause,
um den Kopf wieder klar zu bekommen, und in Ruhe das Gesagte bedenken
zu können.
Das
Entführen eines Jungen war eine schwerwiegende Sache, Männer und
gerade junge Männer, wie Denem einer war, galt es vor solchen
Vorkommnissen zu schützen. Ebenso schlimm wog es, sich als die
Schwester eines Junge auszugeben, um für ihn Verträge
abzuschließen, die dann ungültig waren. Es wurde kurz überlegt, ob
die Aufseherin auch von dem Vorfall betroffen war, da sie aber mehr
Nutzen, als Schaden hatte, sie musste für die bis dahin geleistete
Arbeit nicht zahlen, da der geschlossen Vertrag ungültig war und Nia
nicht bereit ihn zu übernehmen, wurde beschlossen sie und mit ihr
ihren Clan aus der Sache herauszuhalten. Nun galt es nur noch bis zum
Abend zu warten, wenn sie der Angeklagten habhaft werden konnten.
Nia
zog sich unter einen Baum zurück und rief einen Jungen heran, ihr
Füße und Beine zu massieren. Es war ein hübscher Junge, der schöne
lange Finger hatte und eine Art zu gehen, die noch etwas unbeholfen
aber doch schon durchaus aufreizend wirkte. Er würde später einer
der begehrteren Männer sein. Nia legte ihren Kopf zurück und
schloss die Augen. Ihre Müdigkeit, die sie am Morgen gespürt hatte,
war verflogen, doch eine gewisse Erschöpfung war geblieben. Es war
ruhig, die meisten Frauen waren ins Haus gegangen, die die auf dem
Platz blieben, schwiegen. Vor dem Männerhaus hockten drei Jungen und
tuschelten miteinander, Nia war froh, dass keine Mädchen in dem
Alter anwesend waren. Sie hätten bei weitem mehr Lärm verursacht.
„Nia“,
die Stimme kam völlig unerwartet aus nächster Nähe. „Nia hör
mir zu.“
Blinzelnd
öffnete sie die Augen und ihr wurde langsam klar, dass ihr Bruder
vor ihr stand, sie mit ernstem, beinahe bösem Blick ansehend,
während sie unter einem Baum lag und aufwachte.
„Ach
Denem was ist denn?“
Er
hockte sich neben sie. „Nia, Sie hat mich nicht überredet. Ich
bin auch nicht in sie verliebt oder so. Glaub mir, ich habe die
Amazonen dazu überredet mich mitzunehmen. Ich habe sie auch gebeten,
sich als meine Schwester auszugeben, damit ich Geld verdienen kann.“
„Denem“,
sagte Nia, so sanft sie konnte, „Warum solltest du das tun, wenn
nicht, weil du in sie verliebt bist? Was diese Frau gewissenlos
ausgenutzt hat. Vielleicht glaubst du sogar, dass du sie mit deinen
Bitten überredet hast, aber eine Amazone ist etwas anderes, als die
Bauernmädchen, die dir nachschauen. Du bist ein hübscher Junger und
sicher fand sie den Gedanken eine Weile in männlicher Gesellschaft
zu reisen sehr reizvoll.“ Sie strich ihm über die Wange, „Aber
sicher wäre sie irgendwann deiner überdrüssig geworden. Und auch
wenn nicht, hätte sie niemals deine romantischen, jungenhaften
Gefühle ausnutzen dürfen. Sie ist eine erwachsene Frau und du ein
Junge, und damit trägt sie die Verantwortung für das Geschehene.“
„Nia,
nein.“ Denems Stimme klang eindringlich, flehend, „Ich habe
sie nicht gebeten mich mitzunehmen, schon gar nicht aus Liebe. Ich
liebe keine der beiden Frauen. Ich wollte von zu Hause weg. Das ist
alles. Und als eine Amazone so offen Gefallen an mir gefunden hat“,
er stockte „da habe ich beschlossen die Gelegenheit zu nutzen.“
Nun grinste er. „Du hast es selbst gesagt: ich bin ein hübscher
Junge, und ich habe durchaus gelernt mit Frauen umzugehen.“
Nia
brauchte etwas Zeit, um das Gesagte zu begreifen. „Du willst
weg?“
Er
nickte.
„Das
hat dir diese Amazone eingeredet.“
Er
schüttelte den Kopf. „Nia, seit ich noch ein Kind bin, will ich
weg. Sila und Kinara haben nichts damit zu tun.“
„Denem
warum?“
Er
senkte den Kopf , nur kurz, dann hob er ihn wieder. „Ich will
frei sein, Nia, frei.“
„Aber
Denem du bist doch frei. Was fehlt dir denn? Wir zwingen dich doch zu
nichts.“
„Ich
kann nicht mal Geld verdienen, ohne eine Frau, die die Verantwortung
übernimmt. Ich will nicht frei sein von etwas, sondern zu etwas. Nia
du weißt nicht, was es heißt ein Mann zu sein. Ich will so leben
können wie du.“
Sie
schüttelte den Kopf und legte mitleidig ihre Hand an seine Wange.
„Denem, glaub mir. Sei froh, dass du keine Frau bist. Unser
Leben ist nicht so frei, wie du denkst. Wir tragen die Verantwortung
für die Familie, den Clan, auch für dein Wohlergehen, Denem. Was
meinst du denn, warum ich dir nachgeritten bin? Wir lieben dich sehr,
und sind besorgt um dich. Erwiderst du diese Liebe denn nicht?“
Ruckartig
stand er auf und ihre Hand hing einen Augenblick lang sinnlos in der
Luft. „Natürlich liebe ich Euch auch, dich, Mutter und die
andern. Aber verstehst du denn nicht, dass ihr mir die Luft
abschnürt, mit eurer Liebe. Ich kann selbst Verantwortung tragen,
ich brauche keinen Schutz, Nia.“
„Denem,
du bist jung, in deinem Alter hat man viele Träume und Wünsche.
Aber du überschätzt dich. Männer sind nicht dafür geschaffen
Verantwortung zu tragen, das ist kein Leben für einen Mann, das du
dir wünscht, es ist ein Frauenleben. Du würdest daran zerbrechen.“
Sie stand auf, machte einen Schritt auf ihn zu, und wollte ihre Hand
auf seine Schulter legen.
Doch
er drehte sich um und lief, ohne sich um zusehen, zurück zum
Männerhaus.
Eine
Weile blickte sie ihm, voll Mitleid und Liebe nach, dann setzte sie
sich wieder unter den Baum, wo eifrige Männerhände nach ihren
nackten Füßen griffen, um sie zu massieren.
Sie
verbrachte den Nachmittag im Schatten des Baumes im Schwesternhaus
der Naja gemeinsam mit ihren Clansschwestern und einigen jungen
Männern die sich eifrig um ihr Wohl kümmerten. Sie war erschöpft
aber auch unruhig in Erwartung des Abends an dem sie die Amazonen
stellen und zur Verantwortung ziehen würden.
Wie
erwartet erschienen die beiden Frauen am späten Abend am Kai. Doch
statt der Tracht der Amazonen trugen sie lange Röcke und Westen, wie
sie in Am außerhalb der Steppe üblich waren. So erkannte sie
niemand als Amazonen und sie konnten sich als Händlerinnen tarnen.
Nia erwartete sie, gemeinsam mit einer Clansschwester, trat ihnen
gegenüber und begann zu sprechen: „Ihr habt meinen Bruder
entführt. Dafür ziehe ich euch jetzt zur Verantwortung.“
Die
Amazonen sahen sich an, dann Nia und ihre Begleiterin. „Und was
sagt dein Bruder dazu?“
„Das
tut nichts zur Sache. Es ist euer Vergehen. Kommt mit zum
Schwesternhaus. Dort werden wir die Sache klären.“
Sieben
Najane hatten sich vor dem Clanhaus versammelt, die Frau, die Nia
begleitet hatte, gesellte sich zu den anderen. Ein paar Männer,
unter ihnen Denem, hockte in der Nähe und sahen neugierig herüber,
während sie sich mit irgendwelchen Handarbeiten beschäftigten. Nia
trat in die Mitte des Kreises, gefolgt von den Amazonen. Sie stellte
sich ihnen gegenüber und formulierte ihre Anklage erneut: „Ihr
habt meinen Bruder entführt. Er ist jung und leicht zu beeinflussen
und ihr habt ihn von seiner Familie weggeholt.“
„Ich
wiederhole meine Frage: Was sagt Denem dazu?“
„Denem
ist offensichtlich verliebt und steht unter eurem Einfluss. Was er
sagt, ist darum nicht von Relevanz. Es steht euch nicht zu, dass ihr
einfach junge Männer mitnehmt.“
Kurz
zeigte sich ein Grinsen auf dem Gesicht einer der Amazonen, doch es
verschwand gleich wieder. „Ja, du hast recht“, sagte sie
stattdessen. „Es war falsch, dass wir ihn mitgenommen haben. Was
können wir dir als Wiedergutmachung anbieten?“
Nia
dachte nach. Nun war es angemessen einen Preis zu nennen, etwas dass
die Amazonen geben konnten um zu zeigen, dass es ihnen leid tat und
sie ihre Schuld anerkannten, auch wenn der eigentliche Schaden,
dadurch dass sie Denem mit nach Hause nahm, beglichen war.
„Ich
musste euch folgen um meinen Bruder zurück zu holen, so haben wir
beide unserer Familie für mehrere Tage gefehlt und Denem hat einen
halben Tag gearbeitet ohne den Lohn zu erhalten.
Gebt
mir etwas, das den Verlust für unser Haus aufhebt und bezahlt Denem
seine Arbeit von eurem Geld.“
Das
war ein faires Anliegen, wenn es auch sehr unterschiedlich ausfallen
konnte, je nachdem wie man die Zeit ihrer Abwesenheit im Haus
bewertete.
„Wir
haben gute Bögen, davon könnten wir dir zwei lassen.“ schlug die
Zernarbte vor. „mit Pfeilen. Es sind gute Waffen, gemacht um vom
Pferd aus sicher zu treffen.“
„Zwei
Bögen? Das ist nicht viel.“
„Es
ist ja auch nichts geschehen. Du hast deinen Bruder wohlbehalten
zurück. Er hatte nur ein kleines Abenteuer, und ihr werdet in zwei
Tagen wieder zuhause sein. Für die Arbeit deines Bruders bekommt ihr
eine halbe Goldmünze, das ist sehr großzügig.“
Damit
hatte sie recht. Eine halbe Silbermünze wäre ein guter Preis für
einen Tag gewesen, nun gab sie vier Silbermünzen, was der Wert einer
halben Goldmünze war, für nicht mal einen halben Tag Arbeit.
„Der
Frieden im Clan ist uns wichtig. Es war nicht unsere Absicht euch zu
schaden. Wir haben unüberlegt gehandelt. Das soll nicht wieder
vorkommen. Nimmst du unsere Wiedergutmachung an?“
„Ja“
antwortete Nia, „das tue ich.“ Sie reichte der Amazone die Hand,
und diese umfasste Nias Handgelenk als Zeichen der Versöhnung.
Ebenso gab sie auch der anderen Amazone die Hand und die Verhandlung
war beendet.
„Aber
ich will nicht nach Hause“ sagte Denem später, als sie noch
gemeinsam aßen und er neben seiner Schwester saß. „Ich will in
die Steppe.“
„Ach
Denem, das ist nichts für einen Mann. Du kommst mit mir nach Hause,
das ist besser für dich.“
„Ist
es nicht“ antwortete er trotzig. „Ich weiß selbst, was das beste
für mich ist.“
„Ach
Junge,“ mitleidig sah Nia Denem an, „Wie willst du dass denn
wissen.“ Es war keine Frage, sondern eine Feststellung, und Denem
antwortete auch nicht, sondern sah nur auf das Fleisch in seiner
Hand.
„Ich
kenne Männer, die in der Steppe sehr gut zurecht kommen.“ bemerkte
Kinara ohne von ihrem Essen aufzublicken. „Sie können gut reiten,
kennen sich in der Steppe aus, lernen sogar zu kämpfen. Einige sind
wirklich gut darin.“
„Ihnen
bleibt kaum was anderes übrig, in der Steppe.“
„Da
irrst du dich gewaltig, Schwester. Wir achten schon auf unsere
Männer, aber wir respektieren es auch, wenn sie mit Frauen mithalten
können.“
„Das
ist barbarisch.“
„Lass
das doch die Männer entscheiden.“
Nia
lachte auf. „Ja klar, die Männer.“
„Warum
nicht die Männer?“ fragte Denem heftig.
„Männer
können so etwas einfach nicht beurteilen.“
„Den
Eindruck habe ich nicht.“ kam ihm Kinara zur Hilfe. „Ich kenne
einige Männer, die sehr gut für sich entscheiden können.“
„Ja,
einige vielleicht. Aber die meisten Männer sind kaum intelligent
genug dafür.“
„Das
ist nicht wahr“ protestierte Denem.
Beruhigend
legte Nia ihre Hand auf seinen Arm. „Das ist doch nicht schlimm.
Männer müssen nicht klug sein.“
„Ich
kann für mich entscheiden. Ich weiß was gut für mich ist.“ rief
er aus, während er aufsprang.
„Zumindest
hat er Temperament.“ Anzüglich grinsend betrachtete Sila ihn.
„Dumm
ist er sicher nicht.“ meinte Kinara. „Die Idee, dass wir uns als
Händlerinnen ausgeben, war von ihm.“
„Aber
er ist dein Bruder“, wandte Sila ein. „Es ist deine
Entscheidung.“
In
Denems Augen traten Tränen, als er die Amazone wütend ansah, sich
umwandte und aus der Halle stürmte.
„Und
er kann seinen Standpunkt klar darlegen.“ stellte Kinara fest.
„Oh
ja, das kann er“ seufzte Nia. „Das konnte er schon immer.“
Sie
lachten.
„Es
ist nicht einfach mit ihm?“ fragte Sila.
„Tatsächlich
nicht. Er war schon immer eigensinnig.“
„Warum
willst du es ihn nicht versuchen lassen?“ fragte Kinara. „Ein
paar Tage in der Steppe können sehr heilsam sein, für einen
widerspenstigen Jungen.“
„Weil
die Steppe nichts für Männer ist.“
Schweigend
sah Kinara sie an.
„Ihm
könnte so viel passieren.“
„So
gefährlich ist die Steppe nicht. Nicht für hübsche junge Männer.
Wir würden auf ihn aufpassen, ihm zu essen und zu trinken geben,
dafür sorgen, dass er einen Schlafplatz hat.“
„Und
wenn er euch geraubt wird?“ Nia kannte Geschichten darüber, dass
Amazonen sich ihre Männer raubten.
„Dann
werden die Räuberinnen ihm Nahrung und einen Schlafplatz geben. Was
denkst du denn, was wir mit Männern machen, die wir uns holen?
Meinst du, das ginge so einfach, wenn die Jungs nicht freiwillig
dabei wären. Einige mit großer Begeisterung.“ Sila lachte. „Er
wird eine Zeit lang bei anderen Amazonen leben, bis wir ihn finden
und zurückholen.“
„Wenn
er nicht mehr will, bringen wir ihn zurück.“ bekräftigte Kinara.
„Das ist kein Problem.“
„Es
war ein Fehler, dass wir nicht vorher mit euch gesprochen haben. Das
tut uns auch leid. Aber du kannst ihn fragen. Wir haben auf ihn
aufgepasst und das würden wir auch in der Steppe machen. Lass ihm
etwas Freiheit. Auch wenn er ein Mann ist. Er kann doch wieder
zurück, wenn es nichts für ihn ist.“
Abweisend
sah Nia sie an.
„Oder
du kommst mit und überzeugst dich selbst davon, wie wir leben.“
„Ich
weiß genug über euer Leben.“
„Weißt du das? Kennst du
Amazonate?“
„Ich
kenne genug Männer. Ich weiß was man ihnen zumuten kann.“
„Ach
Schwester.“ Kinara trank aus einem Becher, „Das hätte ich auch
gesagt, ehe ich in der Steppe gelebt habe und gesehen habe, wie ein
Mann einen Wombat erlegt. Die Männer dort sind anders als hier. Sie
sind selbstständiger. Sie entscheiden mehr für sich. Ich denke, du
solltest Denem diese Chance lassen.“ Sie stellte den Becher wieder
ab, nahm mit dem letzten Stück Brot den Bratensaft vom Teller auf
und steckte es sich in den Mund. „Aber wie gesagt, es ist deine
Entscheidung.“ Sie stand auf, nahm den Teller, brachte ihn zu einem
Stapel schmutzigen Geschirrs und verließ das Schwesternhaus, eine
sehr nachdenkliche Nia zurücklassend.
Es
war spät und sie wollte schlafen gehen, doch vorher suchte sie noch
ihren Bruder, der vor dem Männerhaus kauerte, die Beine mit den
Armen umschlungen haltend. Als sie zu ihm trat, drehte er sein
Gesicht weg.
„Denem“
„Ach
lass mich doch.“
„Sieh
mich an Denem.“
Er
schüttelte den Kopf.
„Du
bist trotzig und ungehorsam.“ stellte sie fest.
Er
hob nur die Schultern. „Dann lass mich doch gehen, dann störe ich
euch nicht mehr mit meinem Ungehorsam.“
„Ach Denem“, sie
setzte sich neben ihn. „Du störst uns doch nicht. Wir lieben dich
und machen uns Sorgen um dich.“
„Das
braucht ihr nicht. Es ging mir sehr gut bei ihnen.“
„Es sind
Amazonen.“
„Ja,
ich weiß“
„Sie
sind wild und grob.“
Er
schüttelte den Kopf. „Sind sie nicht. Jedenfalls nicht so schlimm
wie du meinst.“
Nia
verkniff sich ein Lachen. „Ach Denem, was soll denn aus dir werden,
in der Steppe? Fern von deiner Familie.“
„Lass
es mich doch versuchen. Kinara sagt, dass sie mir hilft. Meinst du,
dass sie lügt?“
„Nein,
eigentlich nicht.“
„Sie
ist eine Clanschwester.“
„Ich
weiß.“
„Sie
sagt, dass ich klug bin.“
„Sie
denkt, dass du hübsch bist.“
„Das
meinst du.“ Nun sah er sie an. Seine Augen waren leicht
aufgequollen, und auf seinen Wangen sah sie noch die Spuren der
Tränen.
„Es
ist dir sehr ernst.“ stellte sie fest.
Er
nickte heftig.
„Ein
Jahr, dann kommst du zurück und ich will sehen was aus dir geworden
ist.“
„Ja!“
Die
beiden Amazonen saßen vor dem Schwesternhaus. Sila ließ sich von
einem Mann Füße und Waden massieren.
„Ihr
sagt, dass ihr auf ihn aufpasst?“ fragte Nia unvermittelt.
„Ja,
sicher.“
„In
einem Jahr will ich ihn wohlbehalten zurück, wenn nicht hole ich den
gesamten Clan zusammen, dass er euch Feuer unterm Arsch macht, dass
ihr nie wieder reiten könnt. Und glaubt nicht, dass ich euch nicht
finden würde. Ich komme in die Steppe, finde euch und bringe euch
zur Strecke, wenn er in einem Jahr nicht wieder zuhause ist.“
„Kein
Problem“ Kinara grinste. „In einem Jahr hast du ihn wieder, etwas
reifer und nicht mehr so jung, aber wohlbehalten.“
„Schwöre
bei Najas Wassern und dem Schoss deiner Mutter.“
„Du
hängst es aber hoch auf.“
„Schwöre.“
„Gut,
ich schwöre, bei Najas Wassern und dem Schoss meiner Mutter, und
meinem eigenen Schoss, möge er verdorren und nie Leben gebären,
sollte ich deinen Bruder nicht in einem Jahr wohlbehalten bei dir
abliefern.
Zufrieden?“
Nia
nickte. „Dann nehmt ihn morgen mit, aber nach dem Frühstück. Ich
will mich noch einmal von ihm verabschieden können.“
Denems
Gesicht strahlte vor Freude und Glück, als sie sich zu ihm umwandte.
„Und
du verschwinde nun schnell und leg dich schlafen, alleine. Du hast
morgen einen anstrengenden Ritt vor dir.“
Unsicher
sah sie ihrem Bruder nach, sich fragend ob sie gerade genau das
Richtige tat oder einen großen Fehler machte.
In
dieser Nacht konnte sie nicht einschlafen, und stand früh am Morgen
auf. In der Halle traf sie ihren Bruder, der mit einem anderen Mann
Proviant zubereitete.
„Gute
Morgen Nia.“ begrüßte er sie fröhlich.
„Guten
Morgen Hunirat.“ antwortete sie sanft, sich an den Tisch setzend.
„Möchtest
du etwas trinken? Essen?“
Sie
nickte. „Bring mir Wasser und süßes Brot, und packt mir auch
etwas frisches Gemüse und Fleisch für den Heimweg ein. Ich habe nur
noch Trockenobst und Räucherfleisch.“
Denem
brachte ihr ihr Frühstück, stellte auch sich etwas dazu und setzte
sich zu ihr um mit ihr zu frühstücken. Der andere Mann packte
weiter den Proviant zusammen.
Sie
sah zu ihrem Bruder. „Du hast eine lange Reise vor dir.“
„Ja“
nickte er. „Ich weiß.“
„Und
ein aufregendes Jahr, kleiner Bruder.“
„Das
habe ich, Hunirew.“
Sie
lächelte, er hatte sie lange nicht so genannt. „Ich wünsche dir
Glück, Denem. Und sieh zu, dass du heil wieder zurück kommst. Sonst
werde ich schon dafür sorgen, dass Kinaras Schoss kein Leben
hervorbringen wird.“
„Sicher
mach ich das. Sag Mutter, dass ich sie liebe, und auch allen anderen.
Gib unseren Neffen und Nichten Küsse von mir und sag ihnen, dass ich
in einem Jahr wieder bei ihnen bin.“
„Das
mach ich, Hunirat.“
Nach
dem Frühstück sattelten sie ihre Pferde, stiegen auf und sahen
einander noch einmal an. Hinter Kinara saß Denem seitlich auf dem
Pferd, sich an der kräftigen Amazone festhaltend. Nia beugte sich
vor und reichte Kinara die Hand, die sie ergriff, dann beugte sie
sich zu ihren Bruder, zog ihn zu sich und küsste ihn auf die Wangen.
Ihr widerspenstiger Bruder würde ihr fehlen.
Sie
wendete ihr Pferd, hob die Hand zu einem letzten Gruß und ritt
zurück gen Westen, zurück zu ihrer Familie, um ihnen zu sagen, dass
Denem erst in einem Jahr nach Hause kommen würde.