Die erste Dienerin der Königin

1.

Es war ein große Ehre für Eleane Silberschnee der Königin zu dienen. Eine Ehre für die sie selbst ihr Leben als Bardin des Lichts aufgegeben hatte. Es oblag ihr sich um die persönlichen so wie geschäftlichen Belange der Königin zu kümmern, als ihre persönliche Assistentin, und auch die Dienstboten der Königin überwachen.

Morgens war sie früh auf den Beinen, um sich persönlich davon zu überzeugen, dass es der Herrin von Schandaar an nichts mangeln würde. Sie überwachte die Yetimädchen dabei, wie sie das Bad der Königin erhitzten, überwachte die Auswahl der Kleidung und massierten sanft die Füße ihrer Herrin, dass nicht die Hand eines Menschen die Haut der Königin der Eiselfen berührte.

Getreu ihrem Schwur, der wahren Königin über Schandaar zu dienen, tat sie alles was ihr möglich war, um das Wohl dieser Königin zu bewahren. Königin Eleive war die edle Herrscherin der Eiselfen von Schandaar, und Eleane ihre treue erste Dienerin.

Die Königin war ihres Volkse würdig. Von erhabener Anmut und ätherischer Schönheit saß sie auf dem Thron aus Eis und Licht im höchsten Palaste von Schandaar. Ihre Haut war von makelosem Weiß, ihr langes, glattes Haar schillerte hell im Licht der Sonne wie reinstes Silber. In den Händen hielt sie den Stab des Lichtes als Symbol ihrer Macht und um den Hals trug sie eine Kette aus schneeweißem Achat, den eine feine Linie als Symbol des Lichts durchzog.

Wie Wasser umfloss ihr Gewand den schlanke Körper der Königin, und wie frischgefallener Schnee umschmiegte der Umhang ihre Schultern.

Der Sessel auf den sie sich am frühen Morgen nieder gelassen hatte, war mit schneeweißem Samt bezogen. In blassem Lila zogen sich Linie über die Lehnen, welche die Umrisse eines Horns nur andeuteten. Durch hohe Fenster strahlte helles Licht auf eine lange Tafel auf der in Schalen und Krügen aus Alabaster reines Quellwasser und frische, helle Früchte warteten. Der Schreibtisch der Königin aus ebensolchem Alabaster, bedeckt von Schriftrollen und Pergamenten, nahm eine Ecke der Halle ein. So mächtig er war, so wenig fiel er auf, im weitläufigen, privaten Gemach der Königin. Im Hintergrund führte eine Tür weiter in das privateste Gemach, dessen Schwelle kaum ein Elf geschweige denn ein Mensch je überschritt, das Schlafgemach ihrer Majestät.

Keine Farbe als Weiß und blasses Lila verunzierten die Gemächer der Königin von Schandaar. Dies waren heilige Halle, die hoch über den Mauern Schandaars thronten, nur noch überragt vom heilgen Turm des ewigen Lichtes. Allein das Feuer in der rechten und das Wasser in der linken Wand jedes Raumes hob sich ab vom lichten Weiß von Schandaar.

Vorsichtig stellte Eleane die Füße ihrer Königin auf ein schneeweißes Seidenkissen, griff nach ihren in hellem Perlmutt glänzenden Pantoffeln um sie über die zarten Füße zu streifen und erhob sich wieder. Es war ihr eine Freude ihrer Herrin diesen kleinen Dienst am Morgen zu erbringen, auch wenn es eigentlich nicht ihre Aufgabe war. Die weiche Haut unter ihren sanften Händen fühlte sich angenehm zart an und das Wasser über die nackten Füße rinnen zu sehen erfüllte Eleane jeden Morgen aufs Neue mit tiefster Ergebenheit.

Während eine Sklavin die Wasserschüssel beiseite räumte, wartete Eleane ob ihre Königin noch Wünsche äußerte, ehe sie an ihr Tagwerk ging.

„Danke, Eleane“ erfüllte die glockenklare Stimme der Herrin den Raum. „Geh doch bitte meine Briefe durch. Und kümmere dich um den Elf der auf eine Antwortet wartet. Ich habe mir noch nicht einmal seine Frage angehört. Erledige das bitte für mich.“

Das Lächeln der Königin erinnerte an den Glanz der Sonne auf frischgefallenem Schnee.

Eine Treppe musste Eleane hinunter gehen, um in einen Saal, der beherrscht war von einer Tafel in deren Alabaster sorgfältig Ornamente in rot und blau eingelegt waren, zu gelangen. Mit weißem Samt bezogene Stühle standen um den Tisch herum, ansonsten war der Saal leer. Hier empfing die Königin, oder auch eine ihrer Vertrauten, diejenigen ihrer Untertanen, welche ein Anliegen, eine Frage oder auch eine Bitte hatten, in königlich lichtem Weiß.

Der Elf, der vor dem Tisch auf Eleane wartete, war hochgewachsen, mit einem ganz leichten Blaustich in den Haaren. Sein blauschimmerndes Gewand hing an seinem dürren Körper, so dass er mehr einem Kleiderständer glich, denn einem Elf. Nichts desto trotz stand er aufrecht und blickte Eleane gerade ins Gesicht.

An seiner Seite stand ein Menschenjunge, der sich schüchtern umsah, dann aber unter Eleanes Blick scheu zu Boden blickte.

„Was wünschst du?“ Erwartungsvoll sah sie den Mann an, der sie um gut einen Kopf überragte.

„Mein Name ist Galeb Lichtweiß und ich komme in einer recht komplexen Angelegenheit betreffs meiner Familie, und der Familie Lahendeth, welche in unserer Nachbarschaft lebt. Es gibt da etwas zu klären.“

Ehrfürchtig senkte Eleane ihr Haupt. Die Familie Lichtweiß war bekannt und angesehen. Viele hohe Ideen stammten aus diesem Geschlecht. Schon unter den alten Königinnen genossen sie hohes Ansehen. „Es ist mir eine Ehre. Gerne bin ich dir behilflich.“ Ihr Blick wanderte zu dem Menschen.

„Ich benötige die Hilfe meines Sklaven für alles Mögliche. Könnte er in den Sklavenräumen warten?“

Zögernd nickte Eleane, und winkte dem Menschen zu verschwinden. Noch während er ging, wandte sie sich dem Elfen vor ihr zu. „Dann erklär mir doch bitte genauer worum es geht.“ Mit der Hand deutete sie zur Tür und Galeb Lichtweiß folgte ihr zu dem Alabastertisch nahe der offenstehenden Tür zum Balkon.

„Also?“ fragend sah sie ihn an, als sie beide saßen.

„Nun, es geht um die Melodie der Eisrose.“

Wissend nickte Eleane. Es war ein altes Lied, über die Liebe einer Königin, die sie in Eis bannte um der reinen Logik zu folgen. Dies ermöglichte den Königinnen des alten Geschlechtes über drei tausend Jahre lang weise und ohne Fehl zu herrschen. Daher auch die Bezeichnung „die reinen Könginnen“.

Das Lied stammte aus der Zeit, des Beginns ihrer Herrschaft aus der Feder eines der Vorfahren von Galeb Lichtweiß. Es war ein altes und hoch angesehenes Lied, welches oft gesungen wurde in Schandaar.

„Nun hat mir Naminde Lahendeth ein altes Schriftstück vorgelegt“ fuhr Galeb Lichtweiß fort, „welches besagt, dass der Name jenes alten Barden nicht Elgenar Lichtweiß, sondern Elgenar Lahendeth war, Sohn von Iref Lahendeth. Dies müsste zu überprüfen sein.“

„Ja sicher“ nickte Eleane. „Dies wäre zu überprüfen.

Ich werde gleich selbst in die Archive gehen um diesen Tatbestand zu prüfen. Es dauert nur ein paar Minuten das Lied der Eisrose zu holen. Wenn du bitte warten möchtest. Verfüge bitte über unsere Sklaven. Sie werden dich mit allem versorgen, wonach du verlangst.“

Das Lied der Eisrose war leicht zu besorgen. Eleanes Schritte führten hinauf in die Räume der Schriften, dorthin wo sich die alten Lieder befanden, und sie einer jungen und äußerst eifrigen Eiselfe den Auftrag gab die Schriften zu genau diesem Lied zu suchen.

Es ging um den Beginn der Stadt Schandaar, von der Zeit in der die Eiselfen ihr Land Ilwyn verließen um hierher zu kommen, weit in den Westen, in das ewige Eis von Elinos, wo sie das Licht finden und verbreiten sollten, auf der Welt der Menschen.

Die Melodie war so alt wie Schandaar selbst, und die ersten Worte beschrieben noch die ewiglich weißen Berge von Ilwyn.

Tiefes Weiß aus lichtem Schnee bedeckt die Gipfel von Ilwyn. Dort hoch oben erklingt das Lied der Bardenelfen von Ilwyn. Hell klingen Harfenklänge, tief schallen die Trommeln, hoch jubeln die Sangesstimmen der Bardenelfen von Illwyn.“

Nur wenige Minuten musste Eleane warten, bis die junge Elfe ihr ein Bündel Schriftrollen und ein Buch überreichte. „Dies sind alle Schriften die ich finden konnte“ erklärte sie.

Eleane nickte, dankte für die Hilfsbereitschaft und nahm das Bündel aus Pergament und weißlackiertem Holz an sich.

Dies war zu viel um es so ungeordnet dem alternden Elfen zu zeigen. Sie würde es lieber hier kurz durchgehen, um die wichtigen Informationen herauszufiltern. Also legte sie alle Papiere vor sich auf einen Tisch, setzte sich an den Tisch und begann zu suchen.

Es ging um den Namen des Barden der das Lied geschrieben hatte, und seine Zugehörigkeit zu einer Familie. Wie war sein Name? Lautete er Lichtweiß oder Lahendeth?

Das Lied selbst lag zuunterst, zwischen verschiedenen Schriftrollen und Papieren. Es trug eine Überschrift, welche deutlich hervorgehoben war und den Namen des Barden beinhaltete, der das Lied gedichtet hatte.

„Die Melodie der Eisrose“ geschrieben von Elgenar Lichtweiß, stand dort deutlich zu lesen.

Wissend nickte Eleane, dies war eindeutig und ohne Zweifel der Beleg dafür, welchem Clan Elgenar angehörte. Er war ein Sohn der Familie Lichtweiß.

Doch sie war gewissenhaft und las weiter.

Die Melodie war lang, über drei Rollen war sie aufgezeichnet, und enthielt nur wenige Worte.

Zu Beginn war die Schönheit Ilwyns beschrieben, doch gleich ging es über in die Liebe der Königin und die Notwendigkeit reinen Verstandes. Der Geist, das Wissen, das reine Licht sollten herrschen, und so bannte die Königin all ihre Liebe in eine einzige Rose im ewigen Eis.

Diese eine Rose aber sollte stets bei ihr sein dem Volke der Eiselfen zum Wohle.

So konnte die Königin ihre Entscheidung treffen, Illwyn zu verlassen und hinaus zu ziehen in den fernen Westen, wo die Eiselfen eine zweite Heimat fanden. Sie erreichten Schandaar, erbauten die Stadt aus Eis und erhoben sich über die Menschen und Trolle des Eis. All dies unter der Herrschaft der reinen Königinnen.

All dies war weithin bekannt. Jede Eiselfe hatte gelernt, was damals geschehen war, beschrieben in der Melodie der Eisrose.

Ein Name stand dort unten wie eine Unterschrift. Er war blas und kaum zu erkennen, doch klar konnte Eleane den Beginn des Familiennamens lesen: La. Als sie das Schriftstück ins Licht hob, sah sie was dort stand: Die Unterschrift des Barden: Elgenar Lahendeth, Sohn von Iref Lahendeth.

Zwei Namen, wie kam es dazu?

Denems Weg

3. Denem

Die nächste Stadt im Norden war Ferratwin, und ein ganzes Stück entfernt von Seldin. Wenn sie mit dem Boot dorthin fuhren, waren sie einige Tage unterwegs, aber vielleicht blieben sie an einer der vielen kleineren Anlegestellen zwischen Seldin und Ferratwin. Nia ritt einfach geradeaus weiter, in der Hoffnung sie dort irgendwo anzutreffen.

Als sie die nächste Siedlung erreichte war es schon wieder später Vormittag. Müde lenkte sie ihr Pferd zu der ersten Frau, auf die sie traf, eine junge Frau, die auf einer Bank, vor einem der Häuser saß und einen Säugling stillte. Freundlich erwiderte sie den Gruß, und erklärte Nia den Weg zum Schwesternhaus der Naja. Das Schwesterhaus lag an der Uferstraße, zwischen zwei großen, mit dem Symbol der Götttin Naja bemalten Lagerhäusern. Dieses Haus war ein normales Haus, einstöckig wie alle anderen auch, weiß verputzt, über dem Eingang das Zeichen der Göttin. Nia stieg vom Pferd und reichte die Zügel dem Mädchen, das aus dem Haus kam und sogleich das Pferd hinter das Haus, zu den Ställen führte. Im Haus war es angenehm kühl, zwei Männer wuschen die Tische ab, eine Frau stand an einem der Tische und bereitete Fleisch zu.

Nia ging zu der Frau. „Guten Morgen Schwester, ich suche ein Bett. Ich bin die ganze Nacht geritten und sehr müde.“

Ohne zu antworten deutete die Frau hinter sich.

Nia ging in die angegebene Richtung. Die Kammern waren kleiner als in der vorigen Stadt. Nia legte ihre Tasche auf den Boden. Bevor sie schlafen ging, wollte sie noch einen kleine Spaziergang am Kai machen, und sich umhören. Also spritzte sie sich nur kurz Wasser ins Gesicht und verließ dann wieder das Gebäude, um die Uferstraße entlang zu schlendern.

Auch hier waren Männer damit beschäftigt, Ballen und Fässer von den Booten an Land, und dann weiter in die Lagerhäuser, oder umgekehrt vom Ufer in die Boote zu laden. Nia betrachtet die gebückten, schweißnassen Männerrücken, im vorübergehen. Manchmal richtete sich einer auf und wischte sich mit der Hand über das Gesicht. Die Frauen, die die Arbeit beaufsichtigten, wirkten gelangweilt.

Nia schlenderte zu einer der Frauen, um sie zu fragen, ob sie die Gesuchten gesehen habe, da richtete sich einer der Männer mit einem Ballen in der Hand auf, drehte sich um, um den Ballen an Land zu tragen, und sah ihr genau ins Gesicht. Vor Schreck lies er den Ballen fallen, der mit einem lauten Plums auf den Boden fiel.

„Was soll das? Nun ist es schmutzig“ fragte eine der Frauen und trat irritiert zu ihm.

Aber der junge Mann beachtet sie gar nicht.

Nia war nicht weniger erstaunt, als er. „Denem“, rief sie und lief zu ihm hin. Ihr armer Bruder! Zwangen ihn die Amazonen nun zu arbeiten, nachdem sie ihn von zu Hause weggeschleppt hatten? Als sie bei ihm war, nahm sie ihn in den Arm. „Es wir alles wieder gut. Ich bring dich nach Hause.“ Versprach sie.

„Was geht hier vor.“ Wollte die Aufseherin wissen.

„Er ist mein Bruder und ich nehme ihn mit.“

„Dein Bruder?“ Der Ton war schneidend. „Zur Zeit ist er mein Arbeiter, und er wird erst heute Abend gehen, wenn seine Schwester ihn abholt.“

Nia lächelte. „Ich sagte doch, dass ich seine Schwester bin, und ich hole ihn jetzt ab.“

Die Aufseherin bedachte Denem mit einem ärgerlichen Blick. „Ist diese Frau deine Schwester?“

Er nickte.

„Und die Frau, mit der ich den Vertrag abgeschlossen habe?“

„Sie ist nicht meine Schwester.“ Er senkte den Kopf, kaum hörbar, sprach er weiter. „Ich bin von zu Hause ausgerissen und habe sie überredet, sich als meine Schwester auszugeben, damit ich arbeiten kann und Geld verdiene.“

Die Aufseherin grinste süffisant, schwieg aber.

Liebevoll legte Nia ihren Arm um den Jungen. „Du siehst, der Vertrag ist ungültig.“

Die Aufseherin nickte.

„Weißt du, wo die beiden Amazonen sich nun aufhalten?“ Fragte Nia ihren Bruder.

„Nein, bitte Nia! Es ist wirklich so. Ich habe sie überredet, mich mitzunehmen.“

Nia strich ihm eine feuchte Strähne aus dem Gesicht. „Denem, ich finde es reizend, dass du für sie lügst, aber sie haben es nicht verdient. Auch wenn du jetzt noch in sie verliebt bist. Sie hätten dich nicht mitnehmen dürfen.“ Und zur Aufseherin. „Wann wollten sie ihn abholen.“

„Zur 10ten Stunde des Tages.“

Nia nickte, und ging zurück zum Schwesternhaus, ihren Bruder am Arm mitführend.

Den ganzen Weg schwieg er, den Kopf trotzig gesenkt haltend. Vorm Haus rief Nia einen Mann heran und beauftragte ihn, ihren Bruder ins Männerhaus zu bringen und auf ihn aufzupassen. Dann begab sie sich in die Halle, auf der Suche nach weiteren Frauen, mit denen sie das Geschehene besprechen, und die ihr behilflich sein konnten, über das weitere Vorgehen zu entscheiden. Alle Beteiligten waren Mitglieder des gleichen Clans, was die Sache erheblich entschärfte. Es blieb clanintern. Trotzdem, musste etwas geschehen. Es ging nicht, dass herumreisende Frauen einfach jungen Männern den Kopf verdrehten, und sie aus ihren Familien, ihrer Umgebung rissen. Im Haus fand sie zwei Najane. Die eine hatte sie schon bei ihrer Ankunft getroffen hatte, die andere war eine Fremde.

„Guten Tag, Schwestern“. Begann Nia,

„Guten Tag, Schwester“, war die Reaktion.

„Es ist etwas geschehen“, begann Nia. Es war der traditionelle Beginn, eines Berichtes über einen Straffall. „Mein Bruder, Denem, welchen ich in dieser Stadt wiedergefunden habe, ist vor 3 Tagen von zu hause fortgelaufen. Er ging mit zwei Amazonen unseres Clans. Eine von ihnen muss ihn verführt und überredet haben mitzukommen. Mein Bruder ist jung und leicht zu beeinflussen und offensichtlich in eine der Frauen verliebt. In dieser Stadt hat eine von ihnen sich als seine Schwester ausgegeben, um einen Arbeitsvertrag, als Arbeiter am Kai, für ihn abzuschließen. Ich habe ihn mit hierher gebracht. Er ist nun im Männerhaus. Es muss etwas geschehen.“ Schloss sie.

Die anderen Frauen nickten schweigend, das war ein schwerwiegender Fall.

„Weißt du, wo sich die Amazonen aufhalten?“

Nia schüttelte den Kopf, „Ich weiß aber, wann sie sich heute Nachmittag am Kai aufhalten werden, um meinen Bruder und den Arbeitslohn abzuholen.“

„Dann werden wir sie in Empfang nehmen.“

In kurzer Zeit wurden weitere Clanschwestern heran geholt, bis es, ohne Nia, acht waren. Genug um ein Urteil zu fällen. Die Neun Frauen versammelten sich auf dem Platz hinter dem Haus, unter einem Baum. Junge Männer reichten ihnen Getränke und süßes Brot, während sie den Fall besprachen. Nias Bruder hielt sich im Männerhaus auf, wo er gut mit Essen, einem Bad und Kissen zum Ausruhen versorgt war. Die Besprechung dauerte mehrere Stunden, in denen die verschiedenen Frauen von Nia den Vorfall geschildert bekamen und nacheinander Stellung nahmen und ihre Meinung äußerten. Gegen Mittag, nachdem Nia alles erzählt hatte, was sie zu erzählen wusste und jede der Frauen ihre Meinung geäußert hatte, machten sie ein kurzer Pause, um den Kopf wieder klar zu bekommen, und in Ruhe das Gesagte bedenken zu können.

Das Entführen eines Jungen war eine schwerwiegende Sache, Männer und gerade junge Männer, wie Denem einer war, galt es vor solchen Vorkommnissen zu schützen. Ebenso schlimm wog es, sich als die Schwester eines Junge auszugeben, um für ihn Verträge abzuschließen, die dann ungültig waren. Es wurde kurz überlegt, ob die Aufseherin auch von dem Vorfall betroffen war, da sie aber mehr Nutzen, als Schaden hatte, sie musste für die bis dahin geleistete Arbeit nicht zahlen, da der geschlossen Vertrag ungültig war und Nia nicht bereit ihn zu übernehmen, wurde beschlossen sie und mit ihr ihren Clan aus der Sache herauszuhalten. Nun galt es nur noch bis zum Abend zu warten, wenn sie der Angeklagten habhaft werden konnten.

Nia zog sich unter einen Baum zurück und rief einen Jungen heran, ihr Füße und Beine zu massieren. Es war ein hübscher Junge, der schöne lange Finger hatte und eine Art zu gehen, die noch etwas unbeholfen aber doch schon durchaus aufreizend wirkte. Er würde später einer der begehrteren Männer sein. Nia legte ihren Kopf zurück und schloss die Augen. Ihre Müdigkeit, die sie am Morgen gespürt hatte, war verflogen, doch eine gewisse Erschöpfung war geblieben. Es war ruhig, die meisten Frauen waren ins Haus gegangen, die die auf dem Platz blieben, schwiegen. Vor dem Männerhaus hockten drei Jungen und tuschelten miteinander, Nia war froh, dass keine Mädchen in dem Alter anwesend waren. Sie hätten bei weitem mehr Lärm verursacht.

„Nia“, die Stimme kam völlig unerwartet aus nächster Nähe. „Nia hör mir zu.“

Blinzelnd öffnete sie die Augen und ihr wurde langsam klar, dass ihr Bruder vor ihr stand, sie mit ernstem, beinahe bösem Blick ansehend, während sie unter einem Baum lag und aufwachte.

„Ach Denem was ist denn?“

Er hockte sich neben sie. „Nia, Sie hat mich nicht überredet. Ich bin auch nicht in sie verliebt oder so. Glaub mir, ich habe die Amazonen dazu überredet mich mitzunehmen. Ich habe sie auch gebeten, sich als meine Schwester auszugeben, damit ich Geld verdienen kann.“

„Denem“, sagte Nia, so sanft sie konnte, „Warum solltest du das tun, wenn nicht, weil du in sie verliebt bist? Was diese Frau gewissenlos ausgenutzt hat. Vielleicht glaubst du sogar, dass du sie mit deinen Bitten überredet hast, aber eine Amazone ist etwas anderes, als die Bauernmädchen, die dir nachschauen. Du bist ein hübscher Junger und sicher fand sie den Gedanken eine Weile in männlicher Gesellschaft zu reisen sehr reizvoll.“ Sie strich ihm über die Wange, „Aber sicher wäre sie irgendwann deiner überdrüssig geworden. Und auch wenn nicht, hätte sie niemals deine romantischen, jungenhaften Gefühle ausnutzen dürfen. Sie ist eine erwachsene Frau und du ein Junge, und damit trägt sie die Verantwortung für das Geschehene.“

„Nia, nein.“ Denems Stimme klang eindringlich, flehend, „Ich habe sie nicht gebeten mich mitzunehmen, schon gar nicht aus Liebe. Ich liebe keine der beiden Frauen. Ich wollte von zu Hause weg. Das ist alles. Und als eine Amazone so offen Gefallen an mir gefunden hat“, er stockte „da habe ich beschlossen die Gelegenheit zu nutzen.“ Nun grinste er. „Du hast es selbst gesagt: ich bin ein hübscher Junge, und ich habe durchaus gelernt mit Frauen umzugehen.“

Nia brauchte etwas Zeit, um das Gesagte zu begreifen. „Du willst weg?“

Er nickte.

„Das hat dir diese Amazone eingeredet.“

Er schüttelte den Kopf. „Nia, seit ich noch ein Kind bin, will ich weg. Sila und Kinara haben nichts damit zu tun.“

„Denem warum?“

Er senkte den Kopf , nur kurz, dann hob er ihn wieder. „Ich will frei sein, Nia, frei.“

„Aber Denem du bist doch frei. Was fehlt dir denn? Wir zwingen dich doch zu nichts.“

„Ich kann nicht mal Geld verdienen, ohne eine Frau, die die Verantwortung übernimmt. Ich will nicht frei sein von etwas, sondern zu etwas. Nia du weißt nicht, was es heißt ein Mann zu sein. Ich will so leben können wie du.“

Sie schüttelte den Kopf und legte mitleidig ihre Hand an seine Wange. „Denem, glaub mir. Sei froh, dass du keine Frau bist. Unser Leben ist nicht so frei, wie du denkst. Wir tragen die Verantwortung für die Familie, den Clan, auch für dein Wohlergehen, Denem. Was meinst du denn, warum ich dir nachgeritten bin? Wir lieben dich sehr, und sind besorgt um dich. Erwiderst du diese Liebe denn nicht?“

Ruckartig stand er auf und ihre Hand hing einen Augenblick lang sinnlos in der Luft. „Natürlich liebe ich Euch auch, dich, Mutter und die andern. Aber verstehst du denn nicht, dass ihr mir die Luft abschnürt, mit eurer Liebe. Ich kann selbst Verantwortung tragen, ich brauche keinen Schutz, Nia.“

„Denem, du bist jung, in deinem Alter hat man viele Träume und Wünsche. Aber du überschätzt dich. Männer sind nicht dafür geschaffen Verantwortung zu tragen, das ist kein Leben für einen Mann, das du dir wünscht, es ist ein Frauenleben. Du würdest daran zerbrechen.“ Sie stand auf, machte einen Schritt auf ihn zu, und wollte ihre Hand auf seine Schulter legen.

Doch er drehte sich um und lief, ohne sich um zusehen, zurück zum Männerhaus.

Eine Weile blickte sie ihm, voll Mitleid und Liebe nach, dann setzte sie sich wieder unter den Baum, wo eifrige Männerhände nach ihren nackten Füßen griffen, um sie zu massieren.

Sie verbrachte den Nachmittag im Schatten des Baumes im Schwesternhaus der Naja gemeinsam mit ihren Clansschwestern und einigen jungen Männern die sich eifrig um ihr Wohl kümmerten. Sie war erschöpft aber auch unruhig in Erwartung des Abends an dem sie die Amazonen stellen und zur Verantwortung ziehen würden.

Wie erwartet erschienen die beiden Frauen am späten Abend am Kai. Doch statt der Tracht der Amazonen trugen sie lange Röcke und Westen, wie sie in Am außerhalb der Steppe üblich waren. So erkannte sie niemand als Amazonen und sie konnten sich als Händlerinnen tarnen. Nia erwartete sie, gemeinsam mit einer Clansschwester, trat ihnen gegenüber und begann zu sprechen: „Ihr habt meinen Bruder entführt. Dafür ziehe ich euch jetzt zur Verantwortung.“

Die Amazonen sahen sich an, dann Nia und ihre Begleiterin. „Und was sagt dein Bruder dazu?“

„Das tut nichts zur Sache. Es ist euer Vergehen. Kommt mit zum Schwesternhaus. Dort werden wir die Sache klären.“

Sieben Najane hatten sich vor dem Clanhaus versammelt, die Frau, die Nia begleitet hatte, gesellte sich zu den anderen. Ein paar Männer, unter ihnen Denem, hockte in der Nähe und sahen neugierig herüber, während sie sich mit irgendwelchen Handarbeiten beschäftigten. Nia trat in die Mitte des Kreises, gefolgt von den Amazonen. Sie stellte sich ihnen gegenüber und formulierte ihre Anklage erneut: „Ihr habt meinen Bruder entführt. Er ist jung und leicht zu beeinflussen und ihr habt ihn von seiner Familie weggeholt.“

„Ich wiederhole meine Frage: Was sagt Denem dazu?“

„Denem ist offensichtlich verliebt und steht unter eurem Einfluss. Was er sagt, ist darum nicht von Relevanz. Es steht euch nicht zu, dass ihr einfach junge Männer mitnehmt.“

Kurz zeigte sich ein Grinsen auf dem Gesicht einer der Amazonen, doch es verschwand gleich wieder. „Ja, du hast recht“, sagte sie stattdessen. „Es war falsch, dass wir ihn mitgenommen haben. Was können wir dir als Wiedergutmachung anbieten?“

Nia dachte nach. Nun war es angemessen einen Preis zu nennen, etwas dass die Amazonen geben konnten um zu zeigen, dass es ihnen leid tat und sie ihre Schuld anerkannten, auch wenn der eigentliche Schaden, dadurch dass sie Denem mit nach Hause nahm, beglichen war.

„Ich musste euch folgen um meinen Bruder zurück zu holen, so haben wir beide unserer Familie für mehrere Tage gefehlt und Denem hat einen halben Tag gearbeitet ohne den Lohn zu erhalten.

Gebt mir etwas, das den Verlust für unser Haus aufhebt und bezahlt Denem seine Arbeit von eurem Geld.“

Das war ein faires Anliegen, wenn es auch sehr unterschiedlich ausfallen konnte, je nachdem wie man die Zeit ihrer Abwesenheit im Haus bewertete.

„Wir haben gute Bögen, davon könnten wir dir zwei lassen.“ schlug die Zernarbte vor. „mit Pfeilen. Es sind gute Waffen, gemacht um vom Pferd aus sicher zu treffen.“

„Zwei Bögen? Das ist nicht viel.“

„Es ist ja auch nichts geschehen. Du hast deinen Bruder wohlbehalten zurück. Er hatte nur ein kleines Abenteuer, und ihr werdet in zwei Tagen wieder zuhause sein. Für die Arbeit deines Bruders bekommt ihr eine halbe Goldmünze, das ist sehr großzügig.“

Damit hatte sie recht. Eine halbe Silbermünze wäre ein guter Preis für einen Tag gewesen, nun gab sie vier Silbermünzen, was der Wert einer halben Goldmünze war, für nicht mal einen halben Tag Arbeit.

„Der Frieden im Clan ist uns wichtig. Es war nicht unsere Absicht euch zu schaden. Wir haben unüberlegt gehandelt. Das soll nicht wieder vorkommen. Nimmst du unsere Wiedergutmachung an?“

„Ja“ antwortete Nia, „das tue ich.“ Sie reichte der Amazone die Hand, und diese umfasste Nias Handgelenk als Zeichen der Versöhnung. Ebenso gab sie auch der anderen Amazone die Hand und die Verhandlung war beendet.

„Aber ich will nicht nach Hause“ sagte Denem später, als sie noch gemeinsam aßen und er neben seiner Schwester saß. „Ich will in die Steppe.“

„Ach Denem, das ist nichts für einen Mann. Du kommst mit mir nach Hause, das ist besser für dich.“

„Ist es nicht“ antwortete er trotzig. „Ich weiß selbst, was das beste für mich ist.“

„Ach Junge,“ mitleidig sah Nia Denem an, „Wie willst du dass denn wissen.“ Es war keine Frage, sondern eine Feststellung, und Denem antwortete auch nicht, sondern sah nur auf das Fleisch in seiner Hand.

„Ich kenne Männer, die in der Steppe sehr gut zurecht kommen.“ bemerkte Kinara ohne von ihrem Essen aufzublicken. „Sie können gut reiten, kennen sich in der Steppe aus, lernen sogar zu kämpfen. Einige sind wirklich gut darin.“

„Ihnen bleibt kaum was anderes übrig, in der Steppe.“

„Da irrst du dich gewaltig, Schwester. Wir achten schon auf unsere Männer, aber wir respektieren es auch, wenn sie mit Frauen mithalten können.“

„Das ist barbarisch.“

„Lass das doch die Männer entscheiden.“

Nia lachte auf. „Ja klar, die Männer.“

„Warum nicht die Männer?“ fragte Denem heftig.

„Männer können so etwas einfach nicht beurteilen.“

„Den Eindruck habe ich nicht.“ kam ihm Kinara zur Hilfe. „Ich kenne einige Männer, die sehr gut für sich entscheiden können.“

„Ja, einige vielleicht. Aber die meisten Männer sind kaum intelligent genug dafür.“

„Das ist nicht wahr“ protestierte Denem.

Beruhigend legte Nia ihre Hand auf seinen Arm. „Das ist doch nicht schlimm. Männer müssen nicht klug sein.“

„Ich kann für mich entscheiden. Ich weiß was gut für mich ist.“ rief er aus, während er aufsprang.

„Zumindest hat er Temperament.“ Anzüglich grinsend betrachtete Sila ihn.

„Dumm ist er sicher nicht.“ meinte Kinara. „Die Idee, dass wir uns als Händlerinnen ausgeben, war von ihm.“

„Aber er ist dein Bruder“, wandte Sila ein. „Es ist deine Entscheidung.“

In Denems Augen traten Tränen, als er die Amazone wütend ansah, sich umwandte und aus der Halle stürmte.

„Und er kann seinen Standpunkt klar darlegen.“ stellte Kinara fest.

„Oh ja, das kann er“ seufzte Nia. „Das konnte er schon immer.“

Sie lachten.

„Es ist nicht einfach mit ihm?“ fragte Sila.

„Tatsächlich nicht. Er war schon immer eigensinnig.“

„Warum willst du es ihn nicht versuchen lassen?“ fragte Kinara. „Ein paar Tage in der Steppe können sehr heilsam sein, für einen widerspenstigen Jungen.“

„Weil die Steppe nichts für Männer ist.“

Schweigend sah Kinara sie an.

„Ihm könnte so viel passieren.“

„So gefährlich ist die Steppe nicht. Nicht für hübsche junge Männer. Wir würden auf ihn aufpassen, ihm zu essen und zu trinken geben, dafür sorgen, dass er einen Schlafplatz hat.“

„Und wenn er euch geraubt wird?“ Nia kannte Geschichten darüber, dass Amazonen sich ihre Männer raubten.

„Dann werden die Räuberinnen ihm Nahrung und einen Schlafplatz geben. Was denkst du denn, was wir mit Männern machen, die wir uns holen? Meinst du, das ginge so einfach, wenn die Jungs nicht freiwillig dabei wären. Einige mit großer Begeisterung.“ Sila lachte. „Er wird eine Zeit lang bei anderen Amazonen leben, bis wir ihn finden und zurückholen.“

„Wenn er nicht mehr will, bringen wir ihn zurück.“ bekräftigte Kinara. „Das ist kein Problem.“

„Es war ein Fehler, dass wir nicht vorher mit euch gesprochen haben. Das tut uns auch leid. Aber du kannst ihn fragen. Wir haben auf ihn aufgepasst und das würden wir auch in der Steppe machen. Lass ihm etwas Freiheit. Auch wenn er ein Mann ist. Er kann doch wieder zurück, wenn es nichts für ihn ist.“

Abweisend sah Nia sie an.

„Oder du kommst mit und überzeugst dich selbst davon, wie wir leben.“

„Ich weiß genug über euer Leben.“
„Weißt du das? Kennst du Amazonate?“

„Ich kenne genug Männer. Ich weiß was man ihnen zumuten kann.“

„Ach Schwester.“ Kinara trank aus einem Becher, „Das hätte ich auch gesagt, ehe ich in der Steppe gelebt habe und gesehen habe, wie ein Mann einen Wombat erlegt. Die Männer dort sind anders als hier. Sie sind selbstständiger. Sie entscheiden mehr für sich. Ich denke, du solltest Denem diese Chance lassen.“ Sie stellte den Becher wieder ab, nahm mit dem letzten Stück Brot den Bratensaft vom Teller auf und steckte es sich in den Mund. „Aber wie gesagt, es ist deine Entscheidung.“ Sie stand auf, nahm den Teller, brachte ihn zu einem Stapel schmutzigen Geschirrs und verließ das Schwesternhaus, eine sehr nachdenkliche Nia zurücklassend.

Es war spät und sie wollte schlafen gehen, doch vorher suchte sie noch ihren Bruder, der vor dem Männerhaus kauerte, die Beine mit den Armen umschlungen haltend. Als sie zu ihm trat, drehte er sein Gesicht weg.

„Denem“

„Ach lass mich doch.“

„Sieh mich an Denem.“

Er schüttelte den Kopf.

„Du bist trotzig und ungehorsam.“ stellte sie fest.

Er hob nur die Schultern. „Dann lass mich doch gehen, dann störe ich euch nicht mehr mit meinem Ungehorsam.“
„Ach Denem“, sie setzte sich neben ihn. „Du störst uns doch nicht. Wir lieben dich und machen uns Sorgen um dich.“

„Das braucht ihr nicht. Es ging mir sehr gut bei ihnen.“
„Es sind Amazonen.“

„Ja, ich weiß“

„Sie sind wild und grob.“

Er schüttelte den Kopf. „Sind sie nicht. Jedenfalls nicht so schlimm wie du meinst.“

Nia verkniff sich ein Lachen. „Ach Denem, was soll denn aus dir werden, in der Steppe? Fern von deiner Familie.“

„Lass es mich doch versuchen. Kinara sagt, dass sie mir hilft. Meinst du, dass sie lügt?“

„Nein, eigentlich nicht.“

„Sie ist eine Clanschwester.“

„Ich weiß.“

„Sie sagt, dass ich klug bin.“

„Sie denkt, dass du hübsch bist.“

„Das meinst du.“ Nun sah er sie an. Seine Augen waren leicht aufgequollen, und auf seinen Wangen sah sie noch die Spuren der Tränen.

„Es ist dir sehr ernst.“ stellte sie fest.

Er nickte heftig.

„Ein Jahr, dann kommst du zurück und ich will sehen was aus dir geworden ist.“

„Ja!“

Die beiden Amazonen saßen vor dem Schwesternhaus. Sila ließ sich von einem Mann Füße und Waden massieren.

„Ihr sagt, dass ihr auf ihn aufpasst?“ fragte Nia unvermittelt.

„Ja, sicher.“

„In einem Jahr will ich ihn wohlbehalten zurück, wenn nicht hole ich den gesamten Clan zusammen, dass er euch Feuer unterm Arsch macht, dass ihr nie wieder reiten könnt. Und glaubt nicht, dass ich euch nicht finden würde. Ich komme in die Steppe, finde euch und bringe euch zur Strecke, wenn er in einem Jahr nicht wieder zuhause ist.“

„Kein Problem“ Kinara grinste. „In einem Jahr hast du ihn wieder, etwas reifer und nicht mehr so jung, aber wohlbehalten.“
„Schwöre bei Najas Wassern und dem Schoss deiner Mutter.“

„Du hängst es aber hoch auf.“

„Schwöre.“

„Gut, ich schwöre, bei Najas Wassern und dem Schoss meiner Mutter, und meinem eigenen Schoss, möge er verdorren und nie Leben gebären, sollte ich deinen Bruder nicht in einem Jahr wohlbehalten bei dir abliefern.

Zufrieden?“

Nia nickte. „Dann nehmt ihn morgen mit, aber nach dem Frühstück. Ich will mich noch einmal von ihm verabschieden können.“

Denems Gesicht strahlte vor Freude und Glück, als sie sich zu ihm umwandte.

„Und du verschwinde nun schnell und leg dich schlafen, alleine. Du hast morgen einen anstrengenden Ritt vor dir.“

Unsicher sah sie ihrem Bruder nach, sich fragend ob sie gerade genau das Richtige tat oder einen großen Fehler machte.

In dieser Nacht konnte sie nicht einschlafen, und stand früh am Morgen auf. In der Halle traf sie ihren Bruder, der mit einem anderen Mann Proviant zubereitete.

„Gute Morgen Nia.“ begrüßte er sie fröhlich.

„Guten Morgen Hunirat.“ antwortete sie sanft, sich an den Tisch setzend.

„Möchtest du etwas trinken? Essen?“

Sie nickte. „Bring mir Wasser und süßes Brot, und packt mir auch etwas frisches Gemüse und Fleisch für den Heimweg ein. Ich habe nur noch Trockenobst und Räucherfleisch.“

Denem brachte ihr ihr Frühstück, stellte auch sich etwas dazu und setzte sich zu ihr um mit ihr zu frühstücken. Der andere Mann packte weiter den Proviant zusammen.

Sie sah zu ihrem Bruder. „Du hast eine lange Reise vor dir.“

„Ja“ nickte er. „Ich weiß.“

„Und ein aufregendes Jahr, kleiner Bruder.“

„Das habe ich, Hunirew.“

Sie lächelte, er hatte sie lange nicht so genannt. „Ich wünsche dir Glück, Denem. Und sieh zu, dass du heil wieder zurück kommst. Sonst werde ich schon dafür sorgen, dass Kinaras Schoss kein Leben hervorbringen wird.“

„Sicher mach ich das. Sag Mutter, dass ich sie liebe, und auch allen anderen. Gib unseren Neffen und Nichten Küsse von mir und sag ihnen, dass ich in einem Jahr wieder bei ihnen bin.“

„Das mach ich, Hunirat.“

Nach dem Frühstück sattelten sie ihre Pferde, stiegen auf und sahen einander noch einmal an. Hinter Kinara saß Denem seitlich auf dem Pferd, sich an der kräftigen Amazone festhaltend. Nia beugte sich vor und reichte Kinara die Hand, die sie ergriff, dann beugte sie sich zu ihren Bruder, zog ihn zu sich und küsste ihn auf die Wangen. Ihr widerspenstiger Bruder würde ihr fehlen.

Sie wendete ihr Pferd, hob die Hand zu einem letzten Gruß und ritt zurück gen Westen, zurück zu ihrer Familie, um ihnen zu sagen, dass Denem erst in einem Jahr nach Hause kommen würde.

Denems Weg

2. Ostwärts

Es war früher Morgen und die Sonne stand noch weit im Südosten, als Nia ihren Heimatort verließ. Sie ritt über eine weite Ebene, von Feldern und kleinen Wäldern durchzogen, die nach Norden leicht anstieg. Kleine braune oder graue Tiere huschten im Gras umher. Ein paar Insekten surrten zwischen den Blumen, die vereinzelt im hohen Gras standen. Dornige Büsche, mit nur wenigen bunten Blüten, standen ebenso vereinzelt auf der Ebene verteilt. Ein paar Häuser, hinter denen weite Felder begannen, waren über das Land verstreut. Es waren lang gestreckte, flache Holzhäuser, mit Lehm und Kalk verputzt, wie das in dem sie aufgewachsen war. In ihnen lebten Nachbarinnen, Freundinnen und Bettgenossen, die gerade dabei waren aufzustehen und ihre tägliche Arbeit aufzunehmen. Nia schenkte dem morgendlichen Treiben keine Beachtung. Sie galoppierte über die sanften Hügel, nur auf den Weg achtend, der vor ihr lag, irgendwo dort im Osten, auf dem Weg zur Steppe, war ihr Bruder Denem, und sie würde ihn zurückholen.

Ihr Ritt brachte sie im Laufe des Tages fort von der ihr bekannten Gegend, zu fremden Feldern und Häusern. Ein paar mal hielt sie an und untersuchte den Boden nach Pferdespuren oder fragte Frauen, die ihren Weg kreuzten, ob sie die zwei Kriegerinnen gesehen hätten, die in Begleitung eines Jungen unterwegs waren.

Die Antwort war jedes Mal die Gleiche: „Nein, ich habe keine Reiterinnen gesehen, aber ich wünsche dir viel Glück für deine Suche.“

Also ritt sie ohne eine Spur zu haben weiter Richtung Steppe. Am frühen Abend legte sie eine erste Rast ein. Unter einem Baum der Schatten spendete band sie ihr Pferd an und lehnte sich an das weiche Holz, den Proviantbeutel auf den Knien. Sie öffnete ihn und inspizierte, was ihr eingepackt worden war. Geräuchertes Fleisch und getrocknete Früchte waren das erste, was sie fand, und was sie gleich wieder zu Seite legte. Dann stieß sie auf einen Leib Brot und frisches Gemüse, welches nicht länger als drei oder vier Tage halten würde. Trotzdem war sie froh unterwegs auch etwas Frisches zum Essen zu haben. In einem Säckchen fand sie Nüsse und in einem zweiten getrocknete Pilze. Sie suchte sich eine Tomate heraus und biss hinein. Dann begann sie die Umgebung nach Holz abzusuchen und ein Feuer zu entfachen. Seit dem Frühstück hatte sie nicht gegessen. Sie legte Fleisch und Gemüse einfach auf die Steine zwischen die Flammen, und holte es nach einiger Zeit mit einem langen Stock und ihrem Messer aus dem Feuer heraus. Hungrig biss sie in ihr Stück Fleisch. Bis jetzt war ihre Suche nicht gerade erfolgreich verlaufen, aber sie war zuversichtlich, zwei Amazonen und ein Bauernjunge waren auffällig, irgendeine hatte die drei sicher gesehen und würde sich auch an sie erinnern.

Nachdem Essen ritt sie sofort weiter nach Osten. Es war später Abend als sie abstieg, um an eine Haustür ihres Clans zu klopfen. Sie grüßte und bat um Unterkunft und Essen für eine Nacht. Den Bewohnerinnen dieses Hauses erzählte sie von ihrer Suche, doch auch sie hatten keine zwei Amazonen, die einen jungen Mann mit sich führten gesehen. Schweigsam verzehrte sie, was man ihr vorsetzte. Wie sollte sie ihren Bruder je wieder finden, wenn niemand ihn gesehen hatte und sie keinerlei Spur hatte, wo er hin sein könnte, außer der ungefähren Äußerung der Amazone? Was, wenn sie es sich anders überlegt hatten und statt in die Steppe ans Meer geritten waren?

Ohne darauf zu achten was geschah, ließ sie sich in den Ruheraum führen, einen geschmackvoll, aber einfach eingerichteten Raum, mit weichen Kissen, auf denen sie sich niederließ, während Männerhände sanft ihre Nackenmuskeln lockerten. Andere Hände reichten ihr etwas Warmes zu trinken. Sie nippte an dem Becher ohne dem jungen Mann besondere Beachtung zu schenken. Auch den anderen beachtete sie nicht weiter. Sie war alleine mit den beiden, was ihr nur recht war. Sie wollte nachdenken. Zur Zeit sah sie keine andere Möglichkeit, als weiter in die eingeschlagene Richtung zu reiten, die Leute denen sie begegnete zu fragen und hin und wieder nach Spuren am Boden zu suchen, die die drei hinterlassen haben könnten.

Die Hände an ihrem Nacken begannen sich nach vorne zu tasten, sie lies es gerne geschehen, es waren sehr zarte und geschickte Hände die in sanft kreisenden Bewegungen ihre Schultern lockerten. Dann spürte sie seine Lippen an ihrem Hals, seine Zunge begann ihren Nacken zu liebkosen. Ohne besonders darauf zu achten, was sie tat, zog sie seine Hände weiter nach vorne, und legte sich zurück. Während sanfte Hände ihre Brüste liebkosten zog sie den Anderen zu ihren Beinen.

Die beiden Männer waren jung, mit weicher Haut und sanften Händen. Das Wasser war warm und ihr Spiel ausdauernd. Sie wusste nicht wie lange es dauerte, doch am Händen lagen sie alle erschöpft im warmen Wasser.

Am nächsten Morgen ritt sie früh weiter, zu früh um die Mannesfeier des jungen Mannes mitzubekommen. Sie bemerkte kaum die Vorbereitungen, so war sie in Gedanken verloren, als sie ihr Pferd wieder ostwärts lenkte. Um sie herum lösten sich grüne, sonnenbeschienene Wiesen mit hellgelben Feldern und schattigen Wäldchen ab. Bis zum Horizont sah sie eine weite, leicht hügelige Fläche, durchzogen von braunen Wegen und grünlich blauen Bächen, die sich sanft durch die Landschaft schlängelten. Menschen, Frauen in langen bunten Röcken, Tücher gegen die Sonne um die Schultern geschlungen und Männer in braunen und roten Tuniken, die ihnen gerade die Schenkel verdeckten, liefen durch die Felder und über die Wege. Den Kopf schützten sie mit hellen Tüchern und breitkrempigen Hüten. Frauen wie Männer strebten zur Arbeit und alle hatten die gleiche Antwort auf die ihnen gestellte Frage: Nein, sie hätten keine Amazonen gesehen, schon gar nicht in Begleitung eines Jungen. Bis zum Mittag ritt sie weiter nach Osten, dann hielt sie am Rande eines Waldes und packte ihren Proviant aus. Hungrig verzerrte sie etwas Fleisch und ein paar Tomaten und Beeren, ehe sie sich wieder auf den Weg machte. Wieder fragte sie alle Leute, wieder bekam sie die gleichen Antworten. Langsam begann sie sich zu fragen, ob die Suche einen Sinn hatte. Aber sie wollte wenigstens bis an den Rand der Steppe reiten.

Am Abend hielt sie wieder an einem Haus ihres Clans und bat um Einlass. Die Frauen hießen sie freundlich willkommen und ließen ihr sofort Essen und Wein auftragen. Zwei Jungen, beide noch Kinder, bedienten sie, während sie aß, sie dabei mit großen Augen verstohlen anschauend. Ihre Mutter saß Nia gegenüber und wartete, bis ihr Gast zu sprechen begann.

„Habt ihr zwei Amazonen gesehen, heute oder gestern? In Begleitung eines Jungen.“ Fragte Nia dann auch als erstes.

Die andere schüttelte den Kopf, nein, Amazonen habe sie keine gesehen, schon lange nicht mehr. Die einzigen Fremden die heute vorbeigekommen waren, waren zwei Frauen, Händlerinnen wohl, die am Mittag am Haus vorbei geritten waren, und eine junge Frau, die am Nachmittag nach dem Weg nach Seldin, einer nahen Stadt, gefragt hat, warum Nia das wissen wolle.

„Der Junge ist mein Bruder. Ich suche ihn, um ihn nach Hause zu bringen.“

Die Frau nickte. „Dann wünsch ich dir viel Erfolg bei deiner Suche.“

Am nächsten Tag ritt Nia weiter durch die leicht hügeligen Wiesen und Felder des Landes, welches nach Osten hin kaum merklich anstieg. Während die Sonne über den Himmel wanderte, langsam auf den höchsten Punkt zu und immer heißer wurde, änderte sich das Aussehen der Felder, von hellgelb zu grünen Büschen und dunkelgelben Stauden, die schulterhoch standen. Die Menschen trugen helle Kleidung und die Männer wadenlange Tuniken, die sie auffällig mit Bändern und Broschen schmückten. Viele der Leute trugen breitkrempige Hüte aus Stroh, die sie unter dem Kinn festbanden. Wenn Nia sie fragte, ob sie die Gesuchten gesehen hätten, antworteten sie freundlich, nein das hätten sie nicht. Später gelangte sie an einen großen Fluss, auf dem Boote und Flöße, die meisten hoch beladen, aber einige auch nur mit Passagieren besetzt, in beide Richtung fuhren. Einige der Leute winkten ihr zu und Nia winkte zurück, andere beachteten nicht weiter die Frau auf dem Pferd. Sie ritt gerade zwei Stunden den Weg am Flussufer entlang, als sie die Stadt Seldin erreichte, die sich das Flussufer entlang zog. Auf dem Uferweg ritt Nia in die Stadt, auf der Suche nach dem Gemeinschaftshaus ihres Clans. Jede Stadt hatte acht solcher Häuser, eines für jeden Clan, in dem Frauen, die auf Reisen waren, Unterkunft und Unterstützung finden konnten. Von der Uferstraße, an der große Lagerhäuser und kleine Handelshäuser lagen, gingen kleinere Straßen ab, an denen die üblichen langgestreckten und weißgetünchten Häuser lagen, die die Menschen im ganzen Land bewohnten. Am Kai lagen Boote festgemacht und Männer waren damit beschäftigt Fässer und Ballen von den Booten an Land oder vom Land auf die Boote zu schleppen. Ihre dünnen Hemden klebten an ihren Körpern, dass sich die Umrisse ihrer Muskeln deutlich abbildeten. Nia gönnte sich nur einen kurzen Blick, ehe sie zu einer Frau ging, die im Schatten stand, und den Männern beim arbeiten zusah. Auf ihrer nackten Brust war Zonetas Zeichen eingebrannt. Sie hatte die Arme verschränkt und sah mit strengem Blick auf die Männer.

„Guten Abend Zonere.“ Grüßt Nia die Fremde, die nun zu ihr hoch sah.

„Guten Abend, Naje, antwortete sie nach einem Blick auf das Symbol auf Nias Satteltaschen.

„Wo finde ich hier ein Schwesternhaus?“

Die andere deutete in die Richtung, aus der Nia kam, „die zweite Straße, bis du zu einem Platz kommst, auf dem ein großer Baum steht, dann nach Osten abbiegen und nach 100 Schritten siehst du`s.“

Nia nickte, wendete ihr Pferd und ritt in die angegebene Richtung.

Nachdem sie den angegebenen Weg zurückgelegt hatte, stand sie vor einem Haus, das sich über die anderen erhob. Es war das erste zweistöckige Haus, das Nia sah. Es kam ihr riesig vor, fast zu hoch um zu stehen. Über der Eingangstür war Najas Zeichen in blauer Farbe gepinselt. Vor der Tür, auf dem freien Platz, lümmelten drei Jungen, nicht älter als 10 Jahre, über eine Kreidezeichnug gebeugt, die sie auf den Boden malten. Unter einem Baum saß eine junge Frau mit einem etwa gleichaltrigem Jungen, sich leise mit ihm unterhaltend. Nia ging zur Türöffnung, die von einem hellblauem Vorhang verhängt war und trat ein. Es war schattig in dem Haus. Sie trat in eine große Halle, von der zu beiden Seiten Treppen nach oben führten. In der Mitte glomm in einem Eisengestell etwas Glut, um diese Glut herum waren, in ein paar Metern Abstand, Tische aus hellem Holz aufgestellt. Auf den Bänken, die an der Wand aufgestellt waren, saß nur eine Frau, etwa 40 Jahre alt, etwas größer als Nia, mit großflächigen, freundlichen Gesichtszügen, in einem grünen Rock, die ihre ebenfalls grüne Weste vorne verschlossen hatte, auf einer gelben Decke. Sie sah hoch als Nia den Raum betrat und nach dem sie sich umgesehen hatte, auf die Frau zuging.

„Guten Abend Schwester“ grüßte die Andere und Nia erwiderte den Gruß. „Du kannst oben schlafen, such dir ein freies Bett aus. Hast du Hunger?“

Nia nickte.

„Darum werde ich mich kümmern“, sie blickte zu der Satteltasche, die Nia sich über die Schulter geworfen hatte, „und um dein Pferd.“

Ehe sie das Gebäude verlassen konnte, fragte Nia nach ihrem Bruder: „Schwester, haben hier zwei Amazonen gerastet, in Begleitung eines jungen Mannes, oder hast du sie gesehen? Der Junge ist mein Bruder.“

„Nein, aber ich werde mich umhören, ob eine andere etwas von ihnen gesehen und gehört hat.“

Sie verließ das Gebäude und Nia stieg, etwas misstrauisch, die Treppe hoch, die zu den Schlafräumen führte. Nicht das sie keine Treppen kannte, jedes Haus hatte unter dem Dach ein weiteres, niedriges Stockwerk, das der Unterbringung von Vorräten und allem möglich Kram diente. Direkt über dem Ruheraum war dieser Zwischenraum mit Kissen, Fellen und Decken gefüllt, um abgeschiedene Plätze zu schaffen, für Paare die alleine sein wollten. Aber das waren keine richtigen Räume sondern kleine Höhlen, mit schrägen Wänden und wenig Platz.

Nun betrat sie einen Gang von gut zwei Schritt Höhe, von dem aus zu beiden Seiten Räume abgingen, deren Türöffnungen mit Vorhängen verhängt waren. Nia schob einen Vorhang beiseite und sah in eine Kammer, in der eine Truhe auf dem Boden, ein Bett an einer Seite und auf dem Tischchen unter dem Fenster ein Krug und eine Schüssel standen. Es lagen keine Kleider im Raum und die Truhe war leer, also stellte Nia ihre Satteltasche auf die Truhe und ging zu dem Krug. Der Krug enthielt Wasser, sie schüttete es in die Schüssel vor sich und begann Gesicht und Hände zu waschen. Erst dann ging sie wieder in das untere Stockwerk, wo ein junger Mann damit beschäftigt war Fleischstücke auf einem Rost über dem Feuer zu wenden. In einem Tontopf daneben lagen Paprika und Zuchinistreifen. Auf dem Tisch waren ein Teller, ein Becher, Löffel und ein Messer, sowie Eßstäbchen verteilt. Alles aus Holz mit wellenförmigen Schnitzereien. Nia setzte sich und betrachtete gedankenverloren den jungen Mann, der sehr gewissenhaft ihr Essen zubereitete.

Er wendete ihr den Rücken zu, und sie konnte ihn in Ruhe betrachten. Seine langen Haare hatte er zu einem Zopf geflochten und mit einem hellblauen Band zusammengebunden. Ein anderes Band war in den Zopf eingeflochten. Sein beiges Hemd lies seinen braunen, schlanken Nacken frei, um den ein Bronzeband lag. Das Hemd war mit Stickereien und Bändern geschmückt und lag sehr eng. Er hatte es an den Seiten mit Schnüren zusammengebunden, so daß sich die Formen seines sehr ansehnlichen Rückens, genau abzeichneten. Das Hemd endete knapp unter seinem Po, aber er durfte sich nicht zu tief bücken. Darunter standen lange, gerade Beine, die in weichen, blau gefärbten Sandalen endeten.

Nach einiger Zeit wandte er sich um und kam auf sie zu, um den Teller zu nehmen. Mit einer eleganten Bewegung legte er das Essen auf den Teller und stellte ihn wieder an seinen Platz zurück, die ganze Zeit lächelnd, aber ohne ein Wort zu sagen, die Augen niedergeschlagen. Auch als sie unter dem Stoff seinen Po berührte und streichelte, sah er nur kurz auf, verzog sein Gesicht zu einem Grinsen, und zog sich auf eine der Bänke zurück, wo er wartete bis sie mit dem Essen fertig war, um das Geschirr weg zu räumen.

Nia stand auf. „Wo ist der Ruheraum“ fragte sie. Er deutete auf eine der Türen, die von der Halle abgingen, blieb aber stehen wo er war. „Komm mit“, forderte sie, und er betrat hinter ihr den üppig ausgestalteten, ganz in blau gehaltenen Raum.

Der Mann sah zu, wie sie ihre Weste auszog und ihren Rock heruntergleiten ließ. Seine Augen wanderten über ihren Körper, und sie konnte deutlich sehen, dass ihm der Anblick gefiel.

„Komm“ forderte sie ihn auf, aber er blieb stehen.

„Was ist? Fürchtest du dich?“ fragte sie belustigt.

Er schüttelte den Kopf, sah sie an und verzog den Mund zu einem Grinsen.

Also ging sie zu ihm und zog ihn sanft aber sehr bestimmt zu den Kissen, die um das Wasserbecken verteilt waren.

Eine Stunde später lage sie beide erschöpft in den Kissen. Genüßlich drehte sie sich auf den Bauch, als er begann mit sanften Bewegungen über ihren Rücken zu streichen.

„Du hast dir einen ruhigen Tag ausgesucht, um hier zu übernachten, Meare, heute waren außer dir nur noch zwei Händlerinnen hier. Sie wollten nur etwas essen und sind schon wieder weg.“ Schweigend strich er weiter über ihren Rücken, nahm etwas Öl aus einem Topf und verteilte es mit kreisenden Bewegungen. „Ich war ganz froh als sie wegritten“, hob er wieder an, „Die eine sah zum Fürchten aus, mit ihrer Narbe.“

Nia wandte ihm den Kopf zu, „Narbe, was für eine Narbe?“

„Eine recht große Narbe, unter einem Auge. Sie ging bis hinunter zum Mund.“

Sofort hockte Nia aufrecht in den Kissen, den Jungen am Arm gepackt. „Hatte sie einen Jungen dabei, ein halbes Kind noch, etwas größer als ich?“

„j-ja.“

„Das sind sie.“ Nia lies seinen Arm los, auf dem sich nun ihre Finger abzeichneten, dann umfasst sie den Jungen vor sich an den Schultern, zog ihn zu sich, küsste ihn, strich mit der Hand über seine nackte, haarige Brust, sagte „du bist ein Goldstück“, zog sich an, drehte sich noch einmal um: „Weißt du wo sie hin wollten?“

Er schüttelte den Kopf, „sie haben mit Gera gesprochen, der Frau, die du heute hier angetroffen hast, Meare.“

Nia war bereits an der Tür. In der Halle war Gera nicht. Aber draußen saß sie unter dem Baum. Nia ging auf sie zu, blieb kurz vor ihr stehen und fragte: „Die beiden Händlerinnen, die heute hier gerastet haben, der Junge in ihrer Begleitung ist mein Bruder. Wo sind sie hin?“

„Bist du sicher?“

Nia nickte.

„Sie haben sich auf einem Boot nach Norden eingerichtet.“

„Danke Schwester.“ Wenige Minuten später war sie unterwegs nach Norden. Die Sonne war schon weit im Südwesten, und würde bald untergehen, aber sie hatte endlich eine Spur, und würde erst in der nächsten Stadt halten, vielleicht erwischte sie die Drei.